ameisen im kirschblütenhaufen

schreiben als antwort aufs schweigen

Kategorie: Prosaisches

von fülle und glücksfällen

gestern wurde mir großes glück zuteil. es fand mich oder ich fand es oder wir fanden uns. wie das alles gekommen ist, erzähle ich euch jetzt, so kurz und präzise wie möglich. ich verließ das haus am späten nachmittag, mit keinen großen zielen oder plänen, außer zu gehen und mich zu bewegen. ein paket hatte ich dabei, wollte bücher verschicken, und später zur stadtbibliothek laufen, um dort filme zurück zu geben, die ich ausgeliehen und gesehen hatte. (zu den akten: sie geht spazieren, scheint bücher zu mögen, leiht sich filme aus). ich ging in ruhe, bemerkte die geräusche der stadt kaum, war in gedanken, aber nicht gefangen oder verfangen. ich dachte einfach, betrachtete, sah, ging weiter. erreichte schließlich die bibliothek, lieh weitere filme aus, viele filme. verließ die bibliothek, verspürte appetit und machte halt in einem kleinen thai-imbiss, bestellte ein vegetarisches menü nur deshalb, weil die besitzerin und köchin sich einverstanden erklärte, für gemüse mit reis nicht ihre vorgeschlagenen 10 euro, sondern „nur noch“ handfeste 8 euro zu verlangen – (10 euro für gemüse mit reis? dafür ist mehr gemüse! hm. dann: okay, 8 euro. ich stimmte zu und nahm platz). an einem anderen tisch saßen zwei, die sich sehr laut unterhielten. über geld, erbschaft, über pläne, was wo wie und überhaupt (zu laut). ich konzentrierte mich auf das, was auf der straße geschah. mein essen wurde gebracht, ich konnte es kaum essen, so heiß war es. und nicht ein champignon dabei (obwohl auf der karte erwähnt)! ich aß, langsam, es schmeckte gut, doch ich wollte nicht bleiben, ließ mir alles einpacken und kaufte im nahe gelegenen blumenladen katzengras (nicht für mich! für die katzen natürlich!) 4,50 euro. puh. nun ja. von da aus weiter. ich ging durch die straßen, es war inzwischen dunkel, viele menschen waren unterwegs, alle[s] friedlich. da erblickte ich plötzlich einen kleinen buchladen, ein antiquariat, kaum größer als ein schuhkarton. ich öffnete die tür und ging hinein. hinter dem tresen saß einer mit freundlichem gesicht, frisch gewaschenem haar und föhnfrisur, vertieft in eine aufgabe. er fegte bücher aus, ich beobachtete es aus kleiner entfernung. und fragte nach lyrik. er begann zu erzählen, „ja, habe ich da, also hier, also moment„. schob kartons zur seite, bücherstapel, und der blick wurde frei, auf DREI regale voller lyrik! „in der ganzen stadt gibt es keinen buchladen, der so viel lyrik hat, wie du hier!“, sagte ich hocherfreut und begann die buchrücken zu lesen. ich fand lauter namen, die ich noch nie gehört und gelesen hatte. meine freude wuchs. wir sprachen ein bisschen weiter, er reinigte die bücher, radierte bleistiftnotizen aus büchern, die verkauft waren. ich zog buch für buch aus dem regal, las hinein. „wenn ich mehrere bücher nehme“, setzte ich an, „können wir den preis dann verhandeln?“ er nickte und  bejahte, während der bücherstapel auf der ladentheke anwuchs. schließlich begann ich zu zählen. 19 gedichtbände! und so viele namen, die ich noch nie gelesen hatte: jan faktor (dichter aus prag, wunderbare lyrik, die ich gleich heute morgen gelesen habe). dann: dana ranga. ein ganzer gedichtband nur über astronauten, über den flug durchs weltall. ganz wunderbar! cyrus atabay, aldona gustas, adolf endler, tomasz rozycki, joachim sartorius, thomas kunst, paul klee (!!! den kenne ich natürlich, aber ein gedichtband von ihm! wow! so groß ist meine freude!). dann geht es weiter mit maja vidmar, stevan tontic, und, und, und. ach, ihr könnt euch ja gar nicht vorstellen, wie groß meine freude war und immer noch ist! preislich sind wir überein gekommen, ich trug sämtliche bücher nach hause und begann bald darin zu lesen. und ich kann euch sagen: es ist ein fest, eine große, große freude! (zu den akten: sie scheint lyrik zu lieben oder zumindest zu favorisieren, scheint offen zu sein für unbekannte oder ihr nicht bekannte dichter und dichterinnen, geht gern spazieren, auch in worten).

© mp

6 Sekunden

In sechs Sekunden könnte ich eine Vollbremsung machen, mich an der Schulter kratzen oder den Topf auf den Herd stellen. Ich könnte die Sonnenblende im Auto herunter klappen, in sechs Sekunden die Haustür aufschließen oder zwei Stufen heraufstolpern. Ich könnte: Entschuldige bitte sagen oder Ich hab keine Zeit. Ich könnte sagen, dass ich … nein, dazu bräuchte ich mehr als sechs Sekunden. Ich könnte die Katze auf den Arm nehmen, sie kraulen, aber auch dafür sind sechs Sekunden zu kurz. Ich könnte den Kühlschrank auf-und zumachen. Ich könnte ungefähr bis fünf oder sechs zählen und die Parkkarte in den Automaten stecken. Ich könnte am Geldautomaten meine Geheimzahl eingeben und an der Straßenkreuzung einmal nach rechts und links sehen, bevor ich losgehe. Ich könnte diesen Text bloggen und mich fragen, wo die letzten 10.000 sechs Sekunden geblieben sind. Ich könnte an manches denken, was mir zur Sechs einfällt: Sechs Monate sind ein halbes Jahr. Und schon ist die Zeit rum.

© mp

aufgewacht

ich hatte vergessen, wie das ist. und realisiert, als es geschah, habe ich es auch nicht. erwartet irgendwie, ja, weil so besprochen. aber dann doch nicht wirklich mitbekommen, den übergang nicht, den wechsel auf eine andere ebene, weil nichts gesagt, nur getan, nicht von mir. plötzlich: weg. ich. und dann: wieder da. dazwischen: sachtes abtauchen, weggleiten. das letzte was ich hörte war eine frage, auf die ich antwortete. dann stille. und dort, wo ich dann innerlich war, fühlte es sich an wie zuhause. vertraut. ruhig. ein schöner schlaf. erholsam, traumlos. dann aufgewacht durch geräusche, die ich nicht kannte. augen auf. sofort gewusst: ich bin nicht zuhause. geschlafen hatte ich auch nicht, jedenfalls nicht direkt geschlafen. narkotisiert war ich. und der arzt sagte: alles gut. mit dem taxi fuhr ich heim.

tagebuchnotizen, 30.11.23

© mp

herbstliches

das herbstliche hat einzug gehalten. die bäume entblättern sich mehr und mehr, andere wechseln noch ihre farbe von grün zu gelb zu braun, bis die blätter schließlich loslassen. es ist nicht kalt, die temperaturen sind immer noch so, dass spaziergänge angenehm sind, heute sind es 15 grad. die straßen sind noch bevölkert vom trubel der bewegungen, es ist schön draußen zu sein. in zwei monaten schon ist weihnachten denkt der kopf manchmal, und zwei monate sind nicht viel. das jahr ist weit fortgeschritten, es war und ist immer noch ein lautes jahr. vielleicht liegt es auch daran, dass die gespräche leiser und seltener geworden sind, doch wenn sie stattfinden, sind sie intensiv und tief und es ist spürbar, dass man einander verstehen und zuhören will, ohne zu urteilen. wie gut das tut und wie wichtig und stärkend das miteinander doch ist, wenn es so ist. die uhr ist seit letzter nacht auf winterzeit umgestellt, es wird früher dunkel. die beete in den gärten sind weitgehend abgeerntet, manches saatgut wartet noch darauf aufzugehen, wie feldsalat, rotkohl, rosenkohl und auch radieschen. es ist schön, mit der natur zu gehen, zu sehen, was sie wann schenkt, was sie wann verabschiedet, was wann wie wo wächst und wann daraus neues entsteht. ein garten lehrt viel und verbindet den menschen mit der natur, auch der eigenen. die arbeit nährt die seele und aus dem gewachsenen etwas zuzubereiten und zu essen ist eine schmackhafte freude. es ist schon herbstlich und der herbst kommt dennoch gleichzeitig so langsam, dass man diesem übergang leicht und gut folgen kann. es ist wieder mehr zeit für behaglichkeit, mehr zeit für dinge daheim.

© mp

(tagebuchnotizen, 29.10.2023)

the importance of music

musik hat mir immer schon viel bedeutet. musik ist begleiterin in guten, schlechten, schweren, schmerzvollen und übergangszeiten. musik ist aufforderung zum tanzen, zum mitsingen, zum nachdenken, zum rauf-, rein-oder runterkommen. sie ist auch immer erzählerin und dokumentarin aus einer bestimmten zeit.
dieser song von den pixies wirft mich weit zurück in der erinnerung an einen fernen sommer am niederrhein. ich war ziemlich verknallt und schon ein paar monate mit meinem damaligen freund r. zusammen.
ich weiß noch genau, wie es bei ihm in der wg aussah. in seinem zimmer hing sein fahrrad an der wand, in der raummitte stand ein großes altes sofa mit ausladenden ohren, von dort aus der blick auf die fensterfront, wovor seine anlage aufgebaut war, auch riesige boxen und dahinter sein hochbett, natürlich selbst gebaut. auf dem durchgesessenen sofa saßen wir oft, knutschten, diskutierten, aßen, hörten musik.
r. lebte in einer zweier wg auf einer etage mit f., mit der ich mich anfreundete. er hatte mir seinen hausschlüssel gegeben und manchmal, wenn er noch nicht zuhause war, quatschte oder kochte ich mit f. sie fand ihn sonderbar, lebte dort aber gern. er fand sie auch sonderbar. so lebten sie einige jahre friedlich miteinander ohne zu viel miteinander zu tun zu haben.
das haus stand direkt an der niers, in der gocher innenstadt, das zimmer von f. hatte ein buntes und vielfarbiges bleiverglastes fenster das über die gesamte raumbreite ging. man konnte den unteren teil des fensters hochschieben, so dass man auf der breiten fensterbank sitzen und frühstücken konnte, was sie und ich manchmal taten. ich lernte viel durch sie und von ihr. wir philosophierten viel, hörten musik, wir sprachen über bücher und ein paar jahre später studierten wir beide philosophie und germanistik.
für mich war diese zeit eine sehr wichtige zeit, nicht nur wegen r., mit dem die beziehung leider nicht lang hielt, sondern auch deshalb weil ich mich sehr stark veränderte. meine mutter mochte f. nicht, aber mir machte all das gegenseitige mögen oder nichtmögen nichts aus. ich blieb allen verbunden. jedenfalls damals. meine mutter ist lange gestorben, der kontakt zu f. besteht nicht mehr, wir haben uns irgendwann aus den augen verloren. hin und wieder google ich ihren namen, da sie künstlerin ist und manchmal große ausstellungen hat.
r. hat eine neue freundin, mit der er mich vor ein paar jahren besucht hat, doch sie mochte es nicht, dass r. und ich uns immer noch mochten und so war es vielleicht nur eine frage der zeit, dass sich auch hier der kontakt minimierte.
keine frage der zeit ist für mich die musik. und eine musik aus der zeit ist diese musik, die erzählt und bilder trägt aus vergangenen zeiten. und sie bedeutet mir auch deshalb etwas, weil sie die schlussmusik von fight club ist, meinem lieblingsfilm.

© mp

es schneit

es ist der dritte januar 2021, schnee fällt, er kommt erst heute, die wunsch-briefe an das schneeamt sind zu spät eingetroffen wegen corona, erst heute kann der himmel antworten: für jeden guten wunsch eine schneeflocke;
es schneit, heute, am dritten januar; es ist noch früh, es ist noch dunkel, in den häusern ist es noch ruhig; germurmelte sätze, erst mal aufwachen, frühstück machen, der kaffeeduft legt sich auf die bilder vor dem fenster; spaziergänger, warumummützt, eingepackt, schritte im schnee, rennende, fröhliche, aufgeweckte kinder; auch die hunde können ihre freude nicht verbergen;
es schneit, das laufende, kontinuierlich fallende weiß, das sich auf die erde schreibt; die zum himmel geschickten guten wünsche: wir haben die wünsche gehört, wir haben sie empfangen! von irgendwo klingt glockengeläut, locker flockig fällt die frohe botschaft, sie schreibt sich auf den boden, leise; das flüstern des himmels; zeit der ruhe, der kontemplation, es ist winter, es schneit;
schnee, der fällt, schnee, so weiß, so schön, die ruhe, die auf die stadt fällt, alles ist verhüllt mit flockigem weiß, die bäume, entspannt unter weißgrauem himmel, mit ausgebreiteten ästen, das jahr ist frisch und neu, der himmel schickt uns hoffnungsfrohes weiß, die welt, wie ein heft im neuen jahr, das darauf wartet mit gutem und schönem beschrieben zu werden.

© mp

ein schöner tag, der letzte im august

himmelblauer blick von oben, sonnenstrahlen, der tag meint es gut. eine freundin erzählt mir von einer ausstellung nahe der u-bahnstation kottbusser tor. eine, die man besuchen kann, ohne sich vorher anmelden zu müssen. ein lichtblick. das, was bislang selbstverständlich schien, nämlich, „einfach drauflos“ zu leben, spontan etwas zu genießen, das scheint es fast nicht mehr zu geben. immer noch liegt der mantel von corona über allem, dämpft die stimmen, dämpft die angebote, dämpft den enthusiasmus. fast alles muss jetzt geplant werden. früher, denke ich schon fast, als sei es jahrzehnte her. früher, da konnte ich spontan ins kino gehen, oder in eine ausstellung, oder ins schwimmbad. spontan zu einer lesung, zu einem konzert, auf ein festival oder irgendwo tanzen gehen. oder verreisen. „früher“, da musste ich nicht schon vorher wissen, von wann bis wann ich im museum umherspazieren will, oder von wann bis wann ich lust dazu habe meine bahnen im schwimmbad zu ziehen. ich musste nicht sagen: zwischen zehn und zwölf plane ich mich an diesen ort, mit kreditkarte. oder: wenn ich dorthin reise, muss ich hinterher noch zeit für quarantäne einrechnen. und ständig, wo ich auch bin, mit einem unsichtbaren metermaß um mich herum unterwegs sein. ich verreise nicht. doch die ausstellung, die werde ich später versuchen. maskiert vor bilder treten. der surreale neue alltag.

© mp

in der frühe

der frühe morgen beginnt, bevor der wecker an meinem traum rüttelt. im gewühl des bettes noch die reste des letzten tages. traurigkeit, die sich aus der nacht in den neuen tag rettet. es regnet, die welt wird gewaschen. die bäume beobachten das blinkende orangefarbene licht vom wagen der berliner stadtreinigung. am morgengrauen himmel die ersten frühlingsvögel. am schreibtisch der gescheiterte versuch eines gedichtes. auf dem kalender wird heute robert musil aus dem mann ohne eigenschaften zitiert, der die muskelkraft eines bürgers, der einen tag lang ruhig geht, als bedeutend und größer als die eines athleten beschreibt. die katze miaut, als sie ins zimmer kommt. es regnet immer noch. ein paar dunkle anoraks gehen mit gesenktem kapuzenkopf am fenster vorbei. dahinter ein radfahrer in gelber regenjacke. irgendwo hunde, die mit menschen spazieren gehen. dieser donnerstag fühlt sich an wie ein montag, doch es ist tatsächlich donnerstag. und es ist ende januar, der sich schon anfühlt wie frühling.

© mp

Chronik einer unangekündigten Belagerung

Dienstag, 14 Uhr, Berlin. In Windeseile radle ich zur Arbeit und komme pünktlich an. Keine zwei Stunden später spüre ich: Da ist etwas. Im Anmarsch. In mir. Ich nieste. Die Nase lief. Schüttelfrost. Schwächegefühl. Kopf- und Gliederschmerzen. Irgendwas kroch unaufhaltsam durch meinen Körper. Um 16 Uhr hatte es mich bereits umzingelt und gänzlich eingenommen: Ich hatte kalte Hände, das Gefühl halb zu schlafen, halb anwesend zu sein und ein aufdringliches Pfeifen in den Ohren. Ich hörte nicht mehr auf zu niesen, mein Körper war Schmerzgebiet, der Kopf war auf Halbmast.
Ein Kollege fragte, ob er mir grünen Tee anbieten dürfe. „Könnte helfen. Schmeckt aber nicht jedem“, warnte er vor. „Gerne“, sagte ich und zehn Minuten später stand er mit dem dampfenden Tee in der Tür. Ich probierte. „Und?“, wollte er wissen. „Ich habe jetzt auch kein Geschmacksempfinden mehr“, sagte ich, „den nehm ich gern, danke“.
Irgendwie stand ich den Tag durch. Es ging mir bescheiden.
In der Nacht traf mich alles in potenzierter Form: Niesen, Schüttelfrost, kalte Hände, dröhnende Glieder-und Kopfschmerzen, laufende Nase. Hitze. Kälte.
Am nächsten Morgen meldete ich mich krank, schleppte mich zum Arzt und legte mich anschließend ins Bett.
Ich schlief ungefähr 22 Stunden. In den Wachzeiten: Katzen versorgen, zur Toilette, bei jeder Bewegung „Oh Gott“, sagen, wieder hinlegen und weiter schlafen.
Das ging den nächsten Tag so weiter. 17 Stunden geschlafen. Ich hatte jetzt auch noch Husten dazu bekommen.
Den Tag danach 14 Stunden.
Heute ist Freitag. Ich war draußen und bin spazieren gegangen an der frischen Luft. Im Supermarkt habe ich grünen Tee gekauft. Ich habe mich inzwischen auf 11 Stunden Tagesschlafpensum runtergeschlafen und bin so gut wie neu. Der Husten ist fast weg. Der Schüttelfrost hat aufgehört. Das Niesen auch. Der Kopf ist noch nicht ganz wieder da aber fast. Ich spüre langsam wieder Kraft im Körper. Nach vier Tagen geht es mir endlich wieder etwas besser.

© mp

nächtliches gespräch mit borges und fried

borges und fried sitzen vor ihrem bier.
sie unterhalten sich nicht.
ich setze mich dazu.
beide nicken.
ich bestelle mir ein bier.
borges lächelt.
fried sieht in die ferne.
„wie geht es ihnen beiden“, frage ich.
„die berge sind ewige wahrheit“, sagt borges.
„die sterne legen sich darüber wie eine warme decke“, sagt fried.
ich habe tränen in den augen.
mein bier wird gebracht.
ich nehme einen schluck, dann zünde ich mir eine zigarette an.
„ich mag ihre worte“, sage ich zu fried. „ich habe schon viel von ihnen gelesen und lese es immer wieder neu“.
„meine worte sind ihre worte“, sagt er und sieht meinem zigarettenqualm hinterher.
„was kann ein autor anderes tun als sie aufzuschreiben?“, fragt er ins leere.
„schweigen“, sage ich. „herunter schlucken. daran verzweifeln“.
„ja“, nickt er.
„was ist realität als das, was wir darunter verstehen?“, fragt borges. er schreibt gerade an einem neuen gedichtband.
„eben“, sagt fried.
„ich bin müde“, sage ich.
„das geht vorbei“, sagen beide.
„wenn ihr noch mal auf die erde kommt. was wollt ihr dann sein?“ frage ich.
„eine stadt“, sagt borges.
„die grüne garnitur“, sagt fried.
„und du?“ fragen sie aus einem munde.
„eine katze“, sage ich und erwache.

(2012)

© mp

Regenseufzer, sinnlich

Ich kann gerade nicht weiter lesen und muss davon erzählen, noch ein wenig versunken darin und ganz erfüllt davon. Der Leser möge mir meine schwelgenden Ausführungen verzeihen und selbst den norwegischen Schriftsteller lesen.
Bergeners, das sind die Bewohner von Bergen, der regenreichsten Stadt Europas, es ist die Heimat-Stadt von Tomas Espedal. In der gleichnamigen Erzählung beschreibt er, nach kurzer Skizzierung des rauchenden Protagonisten, den Regen, in den sich die Hauptfigur begibt, den kommenden, fallenden Regen.
Wenn Tomas Espedal etwas beschreibt, ist es nicht einfach eine Beschreibung, es ist eine sinnliche Erfahrung. Ich lese die Worte, sehe und spüre das Fallen der Tropfen, spüre, wie der Regen in der Luft tanzt, wie die Tropfen in langen, weich gezogenen Linien ästhetisch vom Himmel fallen, sie stürzen nicht, sie fallen und verbinden sich mit anderen Tropfen, werden zu Blumen, tanzen in der Luft, werden hierhin, dorthin getragen vom Wind, der luftigen Begleitung des Wassertanzes.
Ich staune, lese, betrachte und genieße den Regen, seinen Regen, spüre ihn auf meiner Haut, der Regen fällt und ich lese jeden einzelnen Tropfen, das stimmt nicht, ich lese nicht, ich spüre, ich bin im Regen, werde zum Regen, ich bin die Erde, lasse die Tropfen auf mich fallen, werde eins mit den sinnlichen Beschreibungen.
Ich folge dem Schriftsteller, stehe neben ihm, höre ihn atmen und sprechen durch seine Worte und sein Schweigen. Ich bin der Wind, er ist der Regenschauer, der in mich schreibt, seine Worte beginnen mit meinen zu tanzen. Hier bin ich, hier will ich sein, ich genieße es, ich stehe im Regen und will gerade nirgends anders sein, als im Regen von Tomas Espedal. Ich bin erfüllt, inspiriert und beginne den Regen wie Sternenstaub in mir zu sammeln. Lesen in Selbstvergessenheit, abtauchen, ein Bad in der Sprache eines anderen nehmen, ein Zwiegespräch mit einem Schriftsteller halten, das ist das Lesen von Tomas Espedal für mich. Ich kann einfach nicht genug davon bekommen. Es ist jedes Mal eine neue, bereichernde und inspirierende Erfahrung.

© mp

herbstbellen

vor dem fenster geht ein hund, der mit seinem herrchen spazieren geht: herrlich, geht die kunde, mit dem hund im herbst für eine stunde eine runde lässig durch die gassi gassi gehen lassen. glück erfassen: menschen sehen, durch die herbstluft gehen. aus dem fenster spähen, auf zehenspitzen stehen. meine eine katze kratzt sich am kratzbaum, die andere liegt schlummernd auf dem sofa. neben dem napf katzencracker, leckerschmecker. ich höre tendenziell die musik von tender im moment. moment! miaut die kleine katze, obgleich ich ihr frühstück längst serviert habe; ich verstehe – es fehlt noch etwas zum glück – das kraulen! kaum kraule ich sie, folgt das schnurrige geräusch, es schnurrt sich kopfüber in die musik und in mich hinein, da springt die katze vom boden hoch, direkt aus der hocke hoch auf den schreibtisch und legt sich kopfüber auf die tischplatte. hold on a minute, singt tender und ich kraule die schreibtischkatze. die katze streckt ihre tatzen in die luft, ich tippe in die tasten, taste mich in den tag, die worte tönen: einkaufen aufm markt. lebensmittel fürs mittagessen nicht vergessen: ich will noch mal malen. ich male mir aus, wie ich später male. wird schön sein wenn ich male, male ich erstmal aufs papier – diesmal mit worten. die vorfreude freut sich wortreich auf den farbenfroh gefärbten vormittag, mittag, nachmittag, abend. erquickend und labend, nein, nicht verausgabend. freude spricht durch die sprache der farben, freut sich die sprache: farben lachen funkelndfroh! die farben geben eine vorstellung, die vorfreude der farben färbt sich vielfach farbenfroh. inneres farbenexplodieren und applaudieren. draußen hupt hauptsächlich ein auto die hauptstraße entlang. automatisch fenster schließen, blumen gießen. worte sprießen, worte und farben fließen aus freude und phantasie aufs papier. bilder genießen, gießen in gedichte und prosa, behände malen die hände auf leinwände. worte und buchstaben haben eigne farben, laben sich an meiner phantasie, ich schreibe wie sie mich durchwandern, mich erkunden, ich sie, für stunden, wieder ein neues wort gefunden, in den text eingebunden. ab mittag malen für stunden. phantasie und wort-und farbenwelt auf der leinwand erkunden.

© mp

(tagebuchnotizen, ende oktober 2018)

Frühstück mit Brad Pitt

Es klingelte. Ich saß mit meinen vier Kanarienvögeln am Frühstückstisch und trällerte ihnen ein Liedchen. Sie hatten Geburtstag, da wollte ich nicht knickerig sein. Für jeden gab es ein Frühstücksei. Das Wasser brodelte. Es klingelte erneut. Ich stand auf, goss das Eiwasser in die Spüle und ging dann an die Tür. Wer stand da? Britt Patt. Verzeihung, – Brad Pitt. Ich bat ihn herein, er fragte, ob er sich die Schuhe ausziehen solle, ich schüttelte seine Hand und sagte: “Nein”. Die Vögel flatterten. Hitchcock reckte seinen Hals und schaute durchs Fenster. Er blinzelte.
Brad Pitt setzte sich, ich schenkte ihm Tee ein, Earl Grey, er sagte: “Kennste den? T sah Film. Haha.” Der Witz klemmte. Ich kannte den schon und nahm ihn aus der Verankerung. Sagte: „Da oben liegt Staub.“
“Mittwochs bin ich immer hier. Ein Wunder, dass wir uns noch nie begegnet sind.” Keine Ahnung, mit wem Brad Pitt sprach. Ob er die Kanarienvögel meinte? Ich köpfte ein Ei. “Geschmacklos”, sagte ich. Brad stand auf. “Was?”, fragte er irritiert. “Ich meine das Ei. Reichst du mir bitte mal das Salz?” Er reichte mit seinem Arm bis ans obere Regal. Das Salz stand im Schrank unter der Spüle. “Da ist nichts”, sagte er. “Das habe ich schon öfter gedacht”, erwiderte ich, nahm den Salzstreuer und salzte mein Ei, während Brad zwei Scheiben Toast im Toaster versenkte. “Brutal!”, sagte er. “Fight Club?”, fragte ich, “Ansichtssache”. “Nein”, sagte er. “Brutal, wie kalt das draußen geworden ist”. Ich nickte. “Na ja, es ist halt November, mitten im August”. Die Toasts wurden ausgeworfen, wir sprachen einen Toast auf die Kanarienvögel und dann schloss ich hinter Brad die Tür. “Bis nächste Woche”, sagte er im Gehen. Ich setzte mich an den Tisch und las die Tageszeitung. Bei Aldi gab es Vogelfutter im Angebot.

© mp

 

Besuch einer Ausstellung [Gerhard Richter]

Durch die Räume, sehe sie. An der Wand, zu mir herüber. Groß, fast alle. Schön. Gedanken: In meine Wohnung. Wohnzimmer. Wand mit den Regalen, daneben. Darüber. Oder Schlafzimmer. Große freie, weiße Wand. Zwischen Fenstern. Gegenüber. Tages-und Sonnenlicht. Diese Farben! Sehe es strahlen. Gehe durch Räume, so, still, sprudelnd vor Freude. Nähere mich. Slowmotion. Stop. Station. Staunen. Geist nimmt Bild auf, mit allen Sinnen. Bild nimmt mich auf. Gefühl beginnt Dialog mit Farbe und Komposition. Ohne Worte. Kunst. Manche stellen sich direkt vor das Bild, bedecken es mit Rücken, Gedanken und Gefühlen. Ich warte. Das Genießen ist nicht Wollen, vielmehr Folge des Sehens. Diese Farben! Rot, breitflächig, links eingestrichen, Schärfe. Unschärfe. Untergrund weiß, dann Rot, strukturiert, fast ein Viertel des Bildes. Auch hineingezogenes Grau, dunkles Blau, wie unleserlich gewordener, verwitterter Schriftzug. Darüber durchschimmernd Rot, Grün, hochgewachsene Balken, streuende Formen. Wunderbar. Jedes Kunstwerk erzählt dem Betrachter eine persönliche Geschichte. Zwiegespräche. Anfangs in jedem Raum mehr als ein Lieblingsbild, später wähle ich eines aus allen, ein lebendiges, farbenfrohes Vielflächiges, mit himbeerroten Anteil, viel Gelb und Grün: Abstraktes Bild, 952-2. Abstrakt sind hier alle Bilder. Frisches Museum, hohe Räume und Parkettboden, tragen leicht und elegant die beeindruckenden Kunstwerke. Angenehm, hell. Wir laufen gemeinsam in Räume, dann geht jeder in seine Richtung, im eigenen Tempo.

© mp

Museum Barberini, Potsdam, Gerhard Richter, „Abstraktion“, umfangreiche Ausstellung, beeindruckend, vom 30. Juni bis 21. Oktober 2018

Warum haben Wolken keine Namen?

(für Rolf und seine Kinder)

Stomelovic. Atalaman. Operitzka. Neulauf. Etanerim. So klingt es, wenn Wolken ihre Namen sagen. Diese hier sind die Namen der Wolken von gestern, über der Stadt. Der liebe Gott hat allem einen Namen gegeben, auch den Wolken, ist doch klar. Allem, was auf der Erde ist, und allem, was Drumherum ist, sichtbar und unsichtbar. Gesagt hat er die Namen aber nur den Blumen.

Woher ich davon weiß? Aus einem Traum. In diesem Traum von einer Rose, schlief ich, nachts, ruhig in ihrer Blüte. Da spürte ich ein leichtes Summen, aus dem ein himmlischer Gesang wurde. Die Blätter kribbelten. Was ist das? rief ich in meinen Traum. Wir sind das!, hörte ich. Ich streckte meinen Kopf vorsichtig durch die Blütenblätter. Da sah ich die Blumen, die ringsum Lieder sangen und manche sagten Gedichte über Wolken auf. (Blumen und Wolken sind nämlich miteinander befreundet). Die Gedichte erzählten davon, was die Wolken taten: Tanzen, lachen, singen, summen, fangen spielen, sich aufblasen, sich teilen, wieder verbinden oder auflösen. Wie heißen die Wolken dort oben?, fragte ich. Da verrieten sie es mir.

Ob Wolken wohl Krawatten tragen?, fragte ich mich. So schön wie sie sind, haben sie sicher wichtige Termine, zum Beispiel sich von Menschen am Himmel finden zu lassen oder mit ihnen verstecken zu spielen. Oder sich verwandeln, in Tiere, Gegenstände oder Gesichter. Die Wolken wissen, dass alles schön ist, flüchtig und in Bewegung. Vermutlich tragen sie keine Krawatten. Trügen sie welche, könnte man meinen, sie seien sehr ernst, aber das sind sie nicht. Sie sind verspielt und reiselustig. Am liebsten wandern sie am Himmel und sie fragen sich, ob die Menschen ihre Namen erraten oder ihnen vielleicht neue geben.

© mp