ameisen im kirschblütenhaufen

schreiben als antwort aufs schweigen

Kategorie: Kurztext

von fülle und glücksfällen

gestern wurde mir großes glück zuteil. es fand mich oder ich fand es oder wir fanden uns. wie das alles gekommen ist, erzähle ich euch jetzt, so kurz und präzise wie möglich. ich verließ das haus am späten nachmittag, mit keinen großen zielen oder plänen, außer zu gehen und mich zu bewegen. ein paket hatte ich dabei, wollte bücher verschicken, und später zur stadtbibliothek laufen, um dort filme zurück zu geben, die ich ausgeliehen und gesehen hatte. (zu den akten: sie geht spazieren, scheint bücher zu mögen, leiht sich filme aus). ich ging in ruhe, bemerkte die geräusche der stadt kaum, war in gedanken, aber nicht gefangen oder verfangen. ich dachte einfach, betrachtete, sah, ging weiter. erreichte schließlich die bibliothek, lieh weitere filme aus, viele filme. verließ die bibliothek, verspürte appetit und machte halt in einem kleinen thai-imbiss, bestellte ein vegetarisches menü nur deshalb, weil die besitzerin und köchin sich einverstanden erklärte, für gemüse mit reis nicht ihre vorgeschlagenen 10 euro, sondern „nur noch“ handfeste 8 euro zu verlangen – (10 euro für gemüse mit reis? dafür ist mehr gemüse! hm. dann: okay, 8 euro. ich stimmte zu und nahm platz). an einem anderen tisch saßen zwei, die sich sehr laut unterhielten. über geld, erbschaft, über pläne, was wo wie und überhaupt (zu laut). ich konzentrierte mich auf das, was auf der straße geschah. mein essen wurde gebracht, ich konnte es kaum essen, so heiß war es. und nicht ein champignon dabei (obwohl auf der karte erwähnt)! ich aß, langsam, es schmeckte gut, doch ich wollte nicht bleiben, ließ mir alles einpacken und kaufte im nahe gelegenen blumenladen katzengras (nicht für mich! für die katzen natürlich!) 4,50 euro. puh. nun ja. von da aus weiter. ich ging durch die straßen, es war inzwischen dunkel, viele menschen waren unterwegs, alle[s] friedlich. da erblickte ich plötzlich einen kleinen buchladen, ein antiquariat, kaum größer als ein schuhkarton. ich öffnete die tür und ging hinein. hinter dem tresen saß einer mit freundlichem gesicht, frisch gewaschenem haar und föhnfrisur, vertieft in eine aufgabe. er fegte bücher aus, ich beobachtete es aus kleiner entfernung. und fragte nach lyrik. er begann zu erzählen, „ja, habe ich da, also hier, also moment„. schob kartons zur seite, bücherstapel, und der blick wurde frei, auf DREI regale voller lyrik! „in der ganzen stadt gibt es keinen buchladen, der so viel lyrik hat, wie du hier!“, sagte ich hocherfreut und begann die buchrücken zu lesen. ich fand lauter namen, die ich noch nie gehört und gelesen hatte. meine freude wuchs. wir sprachen ein bisschen weiter, er reinigte die bücher, radierte bleistiftnotizen aus büchern, die verkauft waren. ich zog buch für buch aus dem regal, las hinein. „wenn ich mehrere bücher nehme“, setzte ich an, „können wir den preis dann verhandeln?“ er nickte und  bejahte, während der bücherstapel auf der ladentheke anwuchs. schließlich begann ich zu zählen. 19 gedichtbände! und so viele namen, die ich noch nie gelesen hatte: jan faktor (dichter aus prag, wunderbare lyrik, die ich gleich heute morgen gelesen habe). dann: dana ranga. ein ganzer gedichtband nur über astronauten, über den flug durchs weltall. ganz wunderbar! cyrus atabay, aldona gustas, adolf endler, tomasz rozycki, joachim sartorius, thomas kunst, paul klee (!!! den kenne ich natürlich, aber ein gedichtband von ihm! wow! so groß ist meine freude!). dann geht es weiter mit maja vidmar, stevan tontic, und, und, und. ach, ihr könnt euch ja gar nicht vorstellen, wie groß meine freude war und immer noch ist! preislich sind wir überein gekommen, ich trug sämtliche bücher nach hause und begann bald darin zu lesen. und ich kann euch sagen: es ist ein fest, eine große, große freude! (zu den akten: sie scheint lyrik zu lieben oder zumindest zu favorisieren, scheint offen zu sein für unbekannte oder ihr nicht bekannte dichter und dichterinnen, geht gern spazieren, auch in worten).

© mp

6 Sekunden

In sechs Sekunden könnte ich eine Vollbremsung machen, mich an der Schulter kratzen oder den Topf auf den Herd stellen. Ich könnte die Sonnenblende im Auto herunter klappen, in sechs Sekunden die Haustür aufschließen oder zwei Stufen heraufstolpern. Ich könnte: Entschuldige bitte sagen oder Ich hab keine Zeit. Ich könnte sagen, dass ich … nein, dazu bräuchte ich mehr als sechs Sekunden. Ich könnte die Katze auf den Arm nehmen, sie kraulen, aber auch dafür sind sechs Sekunden zu kurz. Ich könnte den Kühlschrank auf-und zumachen. Ich könnte ungefähr bis fünf oder sechs zählen und die Parkkarte in den Automaten stecken. Ich könnte am Geldautomaten meine Geheimzahl eingeben und an der Straßenkreuzung einmal nach rechts und links sehen, bevor ich losgehe. Ich könnte diesen Text bloggen und mich fragen, wo die letzten 10.000 sechs Sekunden geblieben sind. Ich könnte an manches denken, was mir zur Sechs einfällt: Sechs Monate sind ein halbes Jahr. Und schon ist die Zeit rum.

© mp

aufgewacht

ich hatte vergessen, wie das ist. und realisiert, als es geschah, habe ich es auch nicht. erwartet irgendwie, ja, weil so besprochen. aber dann doch nicht wirklich mitbekommen, den übergang nicht, den wechsel auf eine andere ebene, weil nichts gesagt, nur getan, nicht von mir. plötzlich: weg. ich. und dann: wieder da. dazwischen: sachtes abtauchen, weggleiten. das letzte was ich hörte war eine frage, auf die ich antwortete. dann stille. und dort, wo ich dann innerlich war, fühlte es sich an wie zuhause. vertraut. ruhig. ein schöner schlaf. erholsam, traumlos. dann aufgewacht durch geräusche, die ich nicht kannte. augen auf. sofort gewusst: ich bin nicht zuhause. geschlafen hatte ich auch nicht, jedenfalls nicht direkt geschlafen. narkotisiert war ich. und der arzt sagte: alles gut. mit dem taxi fuhr ich heim.

tagebuchnotizen, 30.11.23

© mp

beschäftigt sein (assoziatives)

man beschäftigt. sich. man beschäftigt sich im doppelten sinne. man beschäftigt sich, lenkt sich ab, von sich, von anderem. lenkt ein, lenkt, ist hier und da unterwegs, im internet, im telefon, im buch, im innern, im kopf oder im herzen, im eigenen oder in dem eines anderen wort oder werk. in dieser oder anderen welten. in den wolken. werten. in wäldern. man liest, genießt, hört, sieht, fühlt, entziffert, dechiffriert, macht, tut. man beschäftigt sich, mit sich, eigenem oder fremdem verhalten, gedanken, gefühlen, bildern, ideen und vorhaben. groß und klein. sein. man ist was, isst was, man hat was, man hat was vor, hat sich vor, behält sich vor, trägt vor, trägt nach, trägt hinterher, vor sich her, beträgt sich beträchtlich. zieht manches. in betracht. betrachtet cool in einer tour? ein hoch auf die kultur. kultur im landeanflug. wo bin ich gelandet? assoziationen, reflexe, reflektionen. man beschäftigt sich, besieht sich, beschädigt sich, entschädigt sich. schaut sich an, um, liest sich ein, liest ab, vertieft sich, beschäftigt sich mit begradigungen, inneren begnadigungen, beschädigungen, schadet nicht, übersteht unbeschadet, überschattet vom beschädigten beschäftigt man, sich, andere. mit unbeschädigtem. sucht. schreibt auf. dringt ein. geht tiefer. wühlt. fällt. steht auf. bleibt auf. es bleibt: man beschäftigt sich.

© mp

herbstliches

das herbstliche hat einzug gehalten. die bäume entblättern sich mehr und mehr, andere wechseln noch ihre farbe von grün zu gelb zu braun, bis die blätter schließlich loslassen. es ist nicht kalt, die temperaturen sind immer noch so, dass spaziergänge angenehm sind, heute sind es 15 grad. die straßen sind noch bevölkert vom trubel der bewegungen, es ist schön draußen zu sein. in zwei monaten schon ist weihnachten denkt der kopf manchmal, und zwei monate sind nicht viel. das jahr ist weit fortgeschritten, es war und ist immer noch ein lautes jahr. vielleicht liegt es auch daran, dass die gespräche leiser und seltener geworden sind, doch wenn sie stattfinden, sind sie intensiv und tief und es ist spürbar, dass man einander verstehen und zuhören will, ohne zu urteilen. wie gut das tut und wie wichtig und stärkend das miteinander doch ist, wenn es so ist. die uhr ist seit letzter nacht auf winterzeit umgestellt, es wird früher dunkel. die beete in den gärten sind weitgehend abgeerntet, manches saatgut wartet noch darauf aufzugehen, wie feldsalat, rotkohl, rosenkohl und auch radieschen. es ist schön, mit der natur zu gehen, zu sehen, was sie wann schenkt, was sie wann verabschiedet, was wann wie wo wächst und wann daraus neues entsteht. ein garten lehrt viel und verbindet den menschen mit der natur, auch der eigenen. die arbeit nährt die seele und aus dem gewachsenen etwas zuzubereiten und zu essen ist eine schmackhafte freude. es ist schon herbstlich und der herbst kommt dennoch gleichzeitig so langsam, dass man diesem übergang leicht und gut folgen kann. es ist wieder mehr zeit für behaglichkeit, mehr zeit für dinge daheim.

© mp

(tagebuchnotizen, 29.10.2023)

Leben

Während Paul die Blumen goß, las Felix die letzten Seiten im „Buch der Unruhe“. Claudia dachte an Peter. Peter dachte an Ulrike. Frau Dohle, die im zweiten Stock wohnte, dachte an den Wochenmarkt und das neue Rezept, welches sie ausprobieren wollte. Herr Antewick hatte Appetit auf Pfannekuchen. Radio Rödel berichtete über gestiegene Mietpreise. Im Fernsehen lief eine Show über Rasenmäher. Die Möhren im Gartenbeet standen still. Die Rosen tranken. Die Bohnen rankten der Sonne entgegen. Im Garten lag Dieter im Liegestuhl und träumte vom Leben, das irgendwo anders stattfand.

© mp

seid nicht still

die worte sind verwundet, immer noch. unruhig gehen sie umher, wollen ins freie, doch unterwegs bricht ihnen oft die kraft weg. ein hörbares japsen im innern, das bedürfnis sich mitzuteilen. trotz allem aufstehende, die nicht aufhören wollen, nicht schweigen wollen. müde wirken sie, ihr rufen wird zunehmend leiser, doch es verstummt nicht. der austausch an inneren schwellen. gespräche, die nicht auf dem papier stattfinden. innere dialoge. sprechversuche. worte, die innerhalb und über grenzen gehen, wissen wollen, sagen wollen, worte, die sich wandeln, erneuern, stärken, zurück laufen und wieder los. können wir hier? wenigstens hier sagen, was wir? ja, sage ich ermutigend. sprecht. seid nicht still. wirklich?, fragen sie ungläubig. wirklich, sage ich. ich höre euch. ich fühle euch. und ich will wissen, was ihr mitzuteilen habt. und auch eure fragen will ich wissen.

© mp
tagebuchnotizen, 30.01.2022

the importance of music

musik hat mir immer schon viel bedeutet. musik ist begleiterin in guten, schlechten, schweren, schmerzvollen und übergangszeiten. musik ist aufforderung zum tanzen, zum mitsingen, zum nachdenken, zum rauf-, rein-oder runterkommen. sie ist auch immer erzählerin und dokumentarin aus einer bestimmten zeit.
dieser song von den pixies wirft mich weit zurück in der erinnerung an einen fernen sommer am niederrhein. ich war ziemlich verknallt und schon ein paar monate mit meinem damaligen freund r. zusammen.
ich weiß noch genau, wie es bei ihm in der wg aussah. in seinem zimmer hing sein fahrrad an der wand, in der raummitte stand ein großes altes sofa mit ausladenden ohren, von dort aus der blick auf die fensterfront, wovor seine anlage aufgebaut war, auch riesige boxen und dahinter sein hochbett, natürlich selbst gebaut. auf dem durchgesessenen sofa saßen wir oft, knutschten, diskutierten, aßen, hörten musik.
r. lebte in einer zweier wg auf einer etage mit f., mit der ich mich anfreundete. er hatte mir seinen hausschlüssel gegeben und manchmal, wenn er noch nicht zuhause war, quatschte oder kochte ich mit f. sie fand ihn sonderbar, lebte dort aber gern. er fand sie auch sonderbar. so lebten sie einige jahre friedlich miteinander ohne zu viel miteinander zu tun zu haben.
das haus stand direkt an der niers, in der gocher innenstadt, das zimmer von f. hatte ein buntes und vielfarbiges bleiverglastes fenster das über die gesamte raumbreite ging. man konnte den unteren teil des fensters hochschieben, so dass man auf der breiten fensterbank sitzen und frühstücken konnte, was sie und ich manchmal taten. ich lernte viel durch sie und von ihr. wir philosophierten viel, hörten musik, wir sprachen über bücher und ein paar jahre später studierten wir beide philosophie und germanistik.
für mich war diese zeit eine sehr wichtige zeit, nicht nur wegen r., mit dem die beziehung leider nicht lang hielt, sondern auch deshalb weil ich mich sehr stark veränderte. meine mutter mochte f. nicht, aber mir machte all das gegenseitige mögen oder nichtmögen nichts aus. ich blieb allen verbunden. jedenfalls damals. meine mutter ist lange gestorben, der kontakt zu f. besteht nicht mehr, wir haben uns irgendwann aus den augen verloren. hin und wieder google ich ihren namen, da sie künstlerin ist und manchmal große ausstellungen hat.
r. hat eine neue freundin, mit der er mich vor ein paar jahren besucht hat, doch sie mochte es nicht, dass r. und ich uns immer noch mochten und so war es vielleicht nur eine frage der zeit, dass sich auch hier der kontakt minimierte.
keine frage der zeit ist für mich die musik. und eine musik aus der zeit ist diese musik, die erzählt und bilder trägt aus vergangenen zeiten. und sie bedeutet mir auch deshalb etwas, weil sie die schlussmusik von fight club ist, meinem lieblingsfilm.

© mp

es schneit

es ist der dritte januar 2021, schnee fällt, er kommt erst heute, die wunsch-briefe an das schneeamt sind zu spät eingetroffen wegen corona, erst heute kann der himmel antworten: für jeden guten wunsch eine schneeflocke;
es schneit, heute, am dritten januar; es ist noch früh, es ist noch dunkel, in den häusern ist es noch ruhig; germurmelte sätze, erst mal aufwachen, frühstück machen, der kaffeeduft legt sich auf die bilder vor dem fenster; spaziergänger, warumummützt, eingepackt, schritte im schnee, rennende, fröhliche, aufgeweckte kinder; auch die hunde können ihre freude nicht verbergen;
es schneit, das laufende, kontinuierlich fallende weiß, das sich auf die erde schreibt; die zum himmel geschickten guten wünsche: wir haben die wünsche gehört, wir haben sie empfangen! von irgendwo klingt glockengeläut, locker flockig fällt die frohe botschaft, sie schreibt sich auf den boden, leise; das flüstern des himmels; zeit der ruhe, der kontemplation, es ist winter, es schneit;
schnee, der fällt, schnee, so weiß, so schön, die ruhe, die auf die stadt fällt, alles ist verhüllt mit flockigem weiß, die bäume, entspannt unter weißgrauem himmel, mit ausgebreiteten ästen, das jahr ist frisch und neu, der himmel schickt uns hoffnungsfrohes weiß, die welt, wie ein heft im neuen jahr, das darauf wartet mit gutem und schönem beschrieben zu werden.

© mp

ein schöner tag, der letzte im august

himmelblauer blick von oben, sonnenstrahlen, der tag meint es gut. eine freundin erzählt mir von einer ausstellung nahe der u-bahnstation kottbusser tor. eine, die man besuchen kann, ohne sich vorher anmelden zu müssen. ein lichtblick. das, was bislang selbstverständlich schien, nämlich, „einfach drauflos“ zu leben, spontan etwas zu genießen, das scheint es fast nicht mehr zu geben. immer noch liegt der mantel von corona über allem, dämpft die stimmen, dämpft die angebote, dämpft den enthusiasmus. fast alles muss jetzt geplant werden. früher, denke ich schon fast, als sei es jahrzehnte her. früher, da konnte ich spontan ins kino gehen, oder in eine ausstellung, oder ins schwimmbad. spontan zu einer lesung, zu einem konzert, auf ein festival oder irgendwo tanzen gehen. oder verreisen. „früher“, da musste ich nicht schon vorher wissen, von wann bis wann ich im museum umherspazieren will, oder von wann bis wann ich lust dazu habe meine bahnen im schwimmbad zu ziehen. ich musste nicht sagen: zwischen zehn und zwölf plane ich mich an diesen ort, mit kreditkarte. oder: wenn ich dorthin reise, muss ich hinterher noch zeit für quarantäne einrechnen. und ständig, wo ich auch bin, mit einem unsichtbaren metermaß um mich herum unterwegs sein. ich verreise nicht. doch die ausstellung, die werde ich später versuchen. maskiert vor bilder treten. der surreale neue alltag.

© mp

sehen und erkennen, es richtig benennen

verstehen, sich, einen anderen und wie das eine ins andere greift. das, was ich begreife, kann in dich greifen, auf dich greifen, übergreifen, reifen. ich verstehe mich, also kann auch ich dich verstehen, begehen, mit dem, was ich sehe. verstehen heißt sehen, heißt erkennen, benennen, manchmal: flennen, auch: [weg-]rennen. manches tut weh, wenn ich es seh sagt etwas: geh! ich verstehe mich gut, sehen braucht mut, ich sehe mich neu an dir, manches seh ich zuerst an dir, dann auch an mir. ich verstehe mich gut mit dir. manches erkenn ich, manches auch nicht. ich verstehe dich nicht, ich sehe dich, doch ich erkenne dich nicht, etwas verstellt mir die sicht. sehen heißt manchmal auch nicht zu erkennen oder falsch zu benennen, weil im sehen etwas steht, das nicht vergeht. oder es wandelt sich und geht von mir zu dir oder von dir zu mir. wer und was gehört zu mir? erkennen, nicht alles ist zu sehn, manches muss erst gehn, bevor wir es sehn. dann sagen wir: das war schön oder unschön. schön ist, was wir mit liebe sehen, doch manches ist und bleibt nicht schön. manchmal muss man einsehn: ich kann nicht alles verstehn oder auch: ich kann es sehn, ich kann es verstehn, doch ich muss gehn.

© mp

 

in der frühe

der frühe morgen beginnt, bevor der wecker an meinem traum rüttelt. im gewühl des bettes noch die reste des letzten tages. traurigkeit, die sich aus der nacht in den neuen tag rettet. es regnet, die welt wird gewaschen. die bäume beobachten das blinkende orangefarbene licht vom wagen der berliner stadtreinigung. am morgengrauen himmel die ersten frühlingsvögel. am schreibtisch der gescheiterte versuch eines gedichtes. auf dem kalender wird heute robert musil aus dem mann ohne eigenschaften zitiert, der die muskelkraft eines bürgers, der einen tag lang ruhig geht, als bedeutend und größer als die eines athleten beschreibt. die katze miaut, als sie ins zimmer kommt. es regnet immer noch. ein paar dunkle anoraks gehen mit gesenktem kapuzenkopf am fenster vorbei. dahinter ein radfahrer in gelber regenjacke. irgendwo hunde, die mit menschen spazieren gehen. dieser donnerstag fühlt sich an wie ein montag, doch es ist tatsächlich donnerstag. und es ist ende januar, der sich schon anfühlt wie frühling.

© mp

vorübergehend

bisweilen erscheint einem manches absurd. so ergeht es mir gerade und bezieht sich auf das bloggen, das leben, das schreiben, das malen, das zeichnen, das sprechen, neujahrswünsche. als wäre alles ein stück von mir weggerückt sehe ich es und denke: wofür ist das denn gut? und finde keine antwort, jedenfalls keine, die sagt: mach weiter so. eher: ich muss weiter, aber anders. und wie und wohin? wird sich zeigen. nun könnte man annehmen, dass man dem, was einem absurd erscheint, also nicht mehr folgt, das, was einem absurd erscheint aufgibt, sein lässt, doch dem ist nicht so, zumindest nicht in meinem fall, doch die frequenz und intensität mit der ich es tue, hat sich verändert. ich folge meinem empfinden und staune darüber, was der kopf mir alles erzählen will, welche gedanken er mir auftischt. dem kopf darf man nicht alles glauben, sowieso.

(tagebuchnotizen, januar 2020)

vom klopfen

du hast so oft
an mein herz geklopft
jetzt bekomme ich
jedes mal
wenn ich dich sehe
herzklopfen

© mp

Von der Sprache

Sprache sind nicht einfach nur Worte. Sprache ist Ausdruck, ist Mitteilen, ist Teilen. In den letzten Monaten ist mir die Sprache irgendwie abhanden gekommen. Nicht, dass ich das Schreiben oder Sprechen verlernt hätte, doch ich habe etwas verloren. Nicht die Worte waren es, es war eine Fähigkeit. Konnte nicht sagen, was ich meinte, trotz zahlreicher Versuche. Versuchte immer wieder, immer wieder, doch es war, als verberge sich die Sprache vor mir und dem, was ich mitzuteilen versuchte. Ich geriet in Schwierigkeiten, in innere Not. Aus der Vergangenheit wusste ich, dass ich mich nicht zwingen, nicht drängen darf, also ließ ich los, ruhte aus. Und versuchte wieder und wieder. Und scheiterte, wieder und wieder. Es wurde mir manches klar auch in diesem Scheitern. Obgleich manches klar war, fanden die Worte und das Unausgesprochene nicht zueinander. Ein Dilemma. Ein schmerzhaftes Dilemma, das ich nur kleinschrittig lösen konnte. Vielleicht ist manchmal Stillsein die Beste aller möglichen Antworten. Manches muss sich vielleicht erst Setzen, wie aufgewirbelter Sand auf dem Meeresgrund. Das Zeichnen hat im Moment das Schreiben eingeholt. Nun sitze ich bei geöffnetem Fenster und sehe draußen die Sonne. Vögel, die durch die Frühlingsluft fliegen. Den blauen Himmel. Keine Wolken. Alles strahlt, alles ist hell, ich will zuversichtlich sein. Die Worte und ich, wir werden wieder zueinander finden. Irgendwann wird sich die Türe wieder öffnen, auch zu den Bereichen, die sich noch nicht mit Worten verbinden können. Die verwundeten Stellen. Ich weiß, dass Worte Ungutes bewirken können, wie auch Gutes. Auch, dass das Schweigen Ungutes bewirken kann, wie auch Gutes. Es braucht alles Zeit. Zeit zum Reifen, Zeit zum Wachsen, Zeit zu verstehen, zu erkennen und das Erkannte umzusetzen. Ich will geduldig sein und hoffe, dass andere geduldig mit mir sind, die mein Schweigen, wie auch mein Sprechen berührt und bewegt. Auch diese Seite kenne ich, dem Schweigen ausgesetzt sein. Manchmal habe ich es persönlich genommen, war es manchmal vielleicht auch. Inzwischen weiß ich, dass aber auch der andere leidet, wenn er bewegt ist und sich nicht mitteilen kann.

© mp